Montag, 25. Mai 2009

Metakognition - Die unheimliche Leere im Innern

1. Prolog

Nur noch zu spüren, wie das eigene Auge keinen Fokus mehr finden kann, wie die Lider flattern, wie das eigene Blut kocht und die Adern pulsieren, wie jeder Muskel im Rhythmus mit dem eigenen Herzschlag ekstatisch zuckt, mag wohl im ersten Moment wie ein Klimax der eigenen Horrorvorstellungen von Alpträumen klingen. Wenn dieses Szenario allerdings einen erlösenden Wert bekommt und symbolisch gesehen sogar das willkommenste Kleinod einer ganzen Existenz bedeuten kann, gerät man wohl ins Grübeln.
Nachdem man aus einer Serie von wahnwitzigen und absolut irrsinnigen Träumen aufwacht und sich nicht sicher sein kann, ob man es geträumt oder wahrlich erlebt hat, beginnt der eigene Verstand verzerrte, ineinander verschlungene und mosaikähnliche Konstrukte aufzubauen. Reaktion, Konzentration, ja sogar angeborene Reflexe scheinen sich längst in die letzten Winkel des eigenen Bewusstseins verkrochen zu haben und fristen nur noch eine Art Alibidasein.
Ich bin aufgewacht, versuchte mich zu beruhigen, die Kontrolle über meinen Körper wieder an mich zu reißen. Meine Chancen waren gleich null, doch ich versuchte, es aufzuarbeiten. Ungleich einem Schlussstrich ging ich alles wieder durch und erreichte dabei einen weiteren tranceartigen, aber dennoch anderen Zustand als zuvor. Es war wie in einem dieser 3D-Endzeitdramen, wo man in vermeintlicher Sicherheit vor einem Bildschirm oder einer Leinwand sitzt, den Protagonisten entweder dabei beobachtet oder vielleicht sogar selbst steuert, wie er vielerlei Hürden meistert, sich von Speicherpunkt zu Speicherpunkt kämpft, ab und zu stirbt und am Ende entweder an sein Ziel kommt oder eben nicht - mein Spiel hatte keine Speicherpunkte. Nicht mal eine Taste zum Pausieren.

2. Ein Traum und davon

Ob es nun gut oder schlecht ist, kann ich bis heute nicht sagen, aber ich weiß, dass es mit einem Traum begann. Ich aß zu Abend, rauchte eine unwesentliche Menge Zigaretten, genehmigte mir drei Biere und wartete darauf, dass mich die Müdigkeit, die ich mittels Sedativa schneller herbeiführen wollte, übermannte. Mit einem flauen, beunruhigenden, aber dennoch vertrauten Gefühl im Magen begab ich mich in Richtung Bett. Ich klopfte die zwei Kissen auf, richtete die Bettdecke und machte es mir so gemütlich, wie es nur ging, um nichtsahnend so bald wie möglich in den Schlaf zu fallen.
Und ich fiel. Bilder taten sich auf. Es war zweifelsohne ein Traum. Die Sonne baute sich als das riesige Monstrum, als das ich sie schon immer sah, vor mir auf. Es gab nur sie und mich. Unter mir gab es keinen Teppich, keinen Boden, neben mir keine Regale oder Wände, über mir keinen Vogel oder Himmel. Sie war zum Greifen nah. Ich merkte, wie ich das Geschehen des Traumes in eine bestimmte Richtung lenken, aber nicht direkt eingreifen konnte. Ich konnte die Angst spüren, wie sie sich mit anfänglicher Wut schon bald in Raserei verwandelte. Ich erdachte mir ein ganzes Heer aus Klonen meiner selbst - alle dazu bereit, dieses unglaublich riesige Ungetüm zur Strecke zu bringen. Wieder taten sich viele hilfreiche Dinge zu meinen Füßen auf. Ich konnte mich bedienen, vergleichbar mit diesen Zeichentrickserien, wo Gott nur als eine Hand dargestellt wird, die ab und an mal aus einer Wolke bricht, um seinen Willen durchzusetzen, jemanden zu loben oder zu strafen. Ich hatte den Himmel unter und die Sonne vor mir. Es begann Sterne zu regnen und um uns herum wurde es immer bunter, lauter und turbulenter. Die Richtung konnte ich weiterhin bestimmen, die Requisiten nicht.
In blindem Wahn stürzten wir uns auf sie. Man konnte ihr den Schmerz und die Wut ansehen und auch mein Körper begann allmählich Kenntnis von meinem Traum zu nehmen und reagierte dementsprechend darauf. Meine Atemfrequenz und mein Puls schossen in die Höhe wie die Sterne der Sonne entgegen. Irgendwann erlosch ihr Licht, zumindest war es das, was mir meine Augen glauben machen wollten. Eine Odyssee aus Traum, Delirium und Wahn nimmt ihren Lauf.
Mein Körper war offensichtlich der Meinung, ich wäre aufgewacht und auch für mich hatte es den Anschein. Ich öffnete die Augen und sie war da. Nicht einfach nur ein Ball aus Feuer, viel mehr Feuer mit einem Gesicht - einem verärgerten Gesicht. Es wurde wärmer. Wahrscheinlich reagierte mein Körper auch darauf, aber ich war absolut nicht mehr dazu in der Lage, jenen auch nur ansatzweise beachten zu können. Sie führte mich vor, schürte jedes negative Empfinden und schaute mich an, als wollte sie einen ungehorsamen, ahnungslosen Schüler strafen und sicherstellen, dass die gleiche Dummheit kein weiteres Mal begangen wird.
Sie pumpt Negativität in Form von Kummer, Sorge und Panik mit einer scheinbar weißen Hand durch mein Hirn, die mit ihren stromlinienförmigen Fingern mit jeder Bewegung neue Impulse sendet. Meine ganze Welt wird auseinander gerissen und in ihre Bestandteile aufgeteilt.
Es war, als würde sich ein farbloser Schleier über den roten Vorhang einer Theaterbühne legen, um einer makellosen Vorstellung sämtlichen Glanz zu rauben . Ich merke, wie es mir die Luft abschnürt und ich langsam aber sicher in die Arme völliger Teilnahmslosigkeit falle. Das Publikum applaudiert.

3. Asche als Hauptgang

Ich breche aus einer fruchtblasenähnlichen Hülle, wehrlos wie ein neugeborenes Kätzchen. Ich sehe mich. Nicht wie in einem Spiegel. Ich sehe mich aus einer anderen Perspektive, nicht meine. Meine ausgetrockneten, eingerissenen Lippen formen Worte und ich sehe wie das vermeintliche Ich darauf reagiert. Es wirkt zerbrechlich und sichtlich ohne ernsthafte, bewusste Wahrnehmung, doch trotzdem ist ein vergnügliches Schmatzgeräusch und das dazugehörige schmale, glückselige Grinsen in seinem - eigentlich meinem - Gesicht zu erkennen..
Es treibt durch eine Art Tunnel, der in allen möglichen Farben immer und immer wieder neu aufleuchtet. Ein Strom ist zu erkennen und ich beobachte das Szenario weiterhin ohne auch nur ansatzweise Herr der Lage zu sein. Meine Hand hebt sich wie von Geisterhand und wieder scheint es zu reagieren. Ich kann einen Blick darauf werfen, kann die hässlichen, abgekauten Fingernägel sehen. Die dreckigen, abgenutzten Hände, wie sie sich für dieses Ding erhoben haben. Trotz des offensichtlichen Abstands scheint eine Verbindung zu bestehen. Es wirkt, als schmatze es, weil ich es füttere und je tiefer wir durch den Strom in den Tunnel treiben, desto vergnüglicher scheint es zu grinsen.
Aus dem unregelmäßigen Aufleuchten der Tunnelwände ist nunmehr ein regelrechtes Flackern geworden und mehr und mehr macht es den Eindruck, als wären es Filme von einem nicht mehr ganz intakten Medium, die viel zu schnell abgespielt werden. Die Sequenzen werden klarer und mehr und mehr lässt sich erkennen. Sie zeigen Momente. Momente, die ich kenne und durchlebt habe. Ich spüre einmal mehr, wie sich wieder dieser Schleier anbahnt und es scheint, als würde dieses Ding sich von diesen Momenten ernähren. Wie durch einen Sog rückt meine Hand näher an das scheinbar schwebende, schmatzende Etwas und es umklammert schließlich meinen viel zu großen Daumen mit beiden Händen. Die Hände sind kalt. Mir wird schwindelig und ich schmecke Galle, während mein anderes Ich anfängt zu gackern und zu jaulen, als reite es gerade mit irrsinniger Geschwindigkeit auf seiner Lieblingsfigur eines Karussells.
Nun merkte ich, wie es kontinuierlich Erinnerungen und Gedanken aus mir zog und sich daran labte. Ich wusste nicht, was es für Erinnerungen waren, doch diese ganze Szene war ein Bild von paradoxer und vor allem fremder Selbstzerstörung. Faden für Faden. Es war nicht möglich, doch ich sah es selbst, ohne auch nur im Ansatz etwas dagegen unternehmen zu können,. Mir blieb nichts anderes übrig als mich zu ihm - auf das Keramikpferd daneben - zu setzen, die Galle zu ignorieren und mich gut festzuhalten.

4. Eine Romanze, Sternenstaub und klebriges Rot


Fügt man sich selbst absichtlich Schmerzen zu, so ist man gewillt, die Kontrolle zu behalten, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Klettere ich auf eine Leiter, so bin ich stets darauf bedacht, mir meine Kraft so einzuteilen, dass ich auch die letzte Sprosse auf dem Weg zur Unendlichkeit unbeschadet meistern kann. Plane ich eine Reise, so teile ich mir meine Vorräte ein, damit ich nicht verhungere. Was macht man aber, wenn man sich dabei beobachtet, wie Tropfen für Tropfen aus dem eigenen Körper entweicht, man die Hand aber nicht selber führt? Was macht man, wenn die Leiter aus dem eigenen Blut besteht und die Reise, die man antritt, keine freiwillige ist und der einzige Vorrat ein rares Gut namens Hoffnung ist? Sich in einem Zustand, der alles andere als kontrollierbar ist, in Hoffnung zu verlieren, gleicht einem Gladiatorenkampf mit einem frisch abgetrennten Arm, wo die Wunde noch triefend leckt und die hungrigen Tigerweibchen nichts lieber täten, als in dich zu kriechen und dich von dort aus zu zerreißen.
Ich habe die Reise gemacht und natürlich klammerte ich mich an Hoffnung. Ironischerweise war kein Schmerz zu groß und keine Leiter hatte zu viele Sprossen. Ich kam an und wäre es ein Tunnel gewesen, so hätte ich das Licht nicht gesehen, ich wäre es sogar gewesen. Triumph und Glück und Mord. Triumph und Glück und Mord. Triumph und Glück und Mord.
Immer wieder spielte sich der Ablauf ab, wobei man den Mord an der Hoffnung bereits mehrmals an die erste Stelle hätte stellen können. Oder hab ich vielleicht dieses Schwarz getötet? Mir blieb nichts anderes, als die Augen zu öffnen. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ein brennender Schmerz jagt durch jeden Muskel und jeder Knochen scheint mich zu verfluchen, als ich mich aufsetzte und entgeistert auf meine Hände blickte. Sie waren tatsächlich komplett mit Blut getränkt.
Gehen wir also zwangsläufig über Leichen? Bringen wir automatisch und unbewusst Opfer, über die man sich in den wirklich wichtigen Momenten nicht im Klaren ist? Diese Fragen stellen sich, aber wie beantwortet man Fragen, die vor einer ungeklärten Ursache stehen? Noch so eine.
Immer wieder ruft sich diese weiße Hand in mein Gedächtnis. Der farblose Schleier, das kalte Ich und ich werde bombardiert. Zweifel, Angst und dieses unbekannte, unheimliche Nichts. Nicht zu wissen, wann man einen wachen Zustand erreicht hat, während man von Szenario zu Szenario gestoßen wird, Kontrolle nicht mehr vorhanden ist und nur noch von Angst dominiert wird. Die Dominanz einer unbekannten, undefinierten Größe über etwas, was man selbst sein sollte.
Man sieht sich aus der Perspektive einer dritten Person. Man beobachtet, wie man selbst verschlungen wird - ohne jeglichen Einfluss. Wie ein Zug, der in einem alten Western auf einen Punkt zurast, an welchem jemand an die Gleise gekettet wurde. Er kommt kurz bevor es vorbei ist zu der einzigen, Sinn machenden Erkenntnis: Ich bin gleich tot, ich bin das Gleis, ich bin der Zug und ich bin der Zugführer.

Ich bin aus diesem Alptraum aufgewacht, glaube ich.
Ich bin der Speicherpunkt, ich bin der Traum.
Ich bin die Hoffnung, ich bin das Publikum.
Ich bin die Hand, ich bin das Karussell.
Ich bin die Leiter und die Reise.
Ich bin der Tunnel und das Licht.
Ich bin der Tiger und der Gladiator.
Ich bin Triumph und Glück und Mord.

Ich habe niemanden erledigt, ich wurde nicht verschlungen.
Ich habe mich erledigt, ich habe mich verschlungen.


The Eerie Void Inside

V.

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